… und das erste Mal zwei Nächte weg ist von den Kindern (1 und 3). Drei ganze Tage werde ich Zeit haben für meine Arbeit und für mich. Werde ich die Kinder nicht schrecklich vermissen? Werde ich schlafen können? Der Abschied ist richtig schwer. Fast bleibe ich zu Hause.
Mein Flug geht um 5 Uhr Früh. Beim Zubett-bringen am Vorabend erkläre ich beiden Kindern, dass ich ein paar Tage nicht da sein werde. Zweimal schlafen ohne Mama. „Mama, nein, nicht weggehen, sonst bin ich traurig“, sagt der Große.
Als ich mich schließlich um kurz nach 3 Uhr Nachts von den schlafenden Kindern verabschiede, spüre ich ein Angstgefühl in mir aufsteigen, dass ich ohne Kinder nicht kannte: es ist diese unendlich große Angst, dass meinen Kindern oder mir in meiner Abwesenheit etwas zustößt. Dass nur deswegen etwas passiert, da ich im entscheidenen Augenblick nicht da bin. Die Konsequenz wäre, an ihrer Seite zu bleiben. Immer und ständig. Das geht natürlich nicht. Aber für drei volle Tage wegzufahren, noch dazu mit dem Flugzeug, das ist ein großer Schritt. Es bedeutet zu vertrauen. Meinen Kindern, ihrem Vater und nicht zuletzt dem Leben selbst. Gottvertrauen könnte man es auch nennen.
Mit dem Taxi geht es durch die leeren Straßen des nächtlichen Limas, wo sonst tagsüber Hupgeräusche die Tonkulisse sowie stinkende Autos kreuz und quer das Bild prägen. Am Flughafen ist mit einem Schlag das Angstgefühl weg. Dafür spüre ich die altbekannte Abenteuerlust aus meiner Prä-Mama-Zeit. Dieses aufregende Wuseln von Kopf bis Fuß, Neues zu entdecken und zu erforschen. Mit einem Schlag spüre ich: MICH.
Ich nehme mich als einen eigenständigen Menschen war, wie ich es vor meiner ersten Schwangerschaft war. Ohne unmittelbare Versorgungspflichten eines anderen Menschen. Ohne Zeitdruck, weil ich mich in drei Stunden wieder um jemanden kümmern muss. Einfach nur ich. Ich auf Reisen. Mit einem kleinen Auftrag für einen Radiosender in der Tasche, den ich in den nächsten Tage umsetzen werde. Es fühlt sich gut an. Richtig gut.
Etwas ist anders als früher. Ich spüre ich eine Wertschätzung und Dankbarkeit für die drei bevorstehenden Tage. Für dieses riesige Zeitfenster, das sich gerade vor mir auftut. Luxus pur. Als ich ein paar Stunden später in meinem Hotel ankomme, nütze ich die Stunde, die mir vor dem Frühstück noch bleibt: ich lege mich auf das breite Bett und ruhe mich aus. Herrlich. Ein riesiges Hotelzimmer nur für mich allein!
Ich bin in Cajamarcja in Peru, einen etwas mehr als einstündigen Flug von Lima entfernt in den Anden weiter im Norden, auf 2.700 Metern. Das Hotel hätte ich besser nicht aussuchen können. Meine Gastgeber, Veronica und Eduardo, im Hatuchay Inka Apart Hotel kümmern sich rührend um mich. Ich frühstücke mit der Familie. Eduardo erzählt mir gleichmal eine Stunde über die Stadt. Anschließend laufe ich herum. Am Nachmittag bringt Eduardo bringt an ein paar sehenswerte Orte. Er erzählt und erzählt. So macht Arbeit Spaß!
Früher habe ich keinen großen Wert auf Mitbringsel gelegt. Heute kommen mir bei meiner Erkundungstour überall mögliche Geschenke für meine Kinder in den Sinn. Ich freue mich darauf, sie bei meiner Ankunft mit etwas zu überraschen. Ich möchte, dass sie meine mehrtägige Abwesenheit mit lustigen, aufregenden Dingen verbinden. Da gehören Geschenke dazu. Finde ich. Hätte ich früher überhaupt nicht gedacht, im Gegenteil.
Am Abend ruft mich kurz der Papa über Videotelefonie an. Die Kinder plantschen gerade zufrieden in der Badewanne. Bis sie mich sehen. Auf einmal beginnt Wutzi zu weinen. Wir brechen das Telefonat sofort ab. Ab jetzt nur mehr Kommunikation über Textnachrichten.
Im Hotel steht ein dunkelblaues Schaukelpferd in einer Ecke im Zwischenstock. Hübsch ist es. Das würde meinem dreijährigen Wutzi gefallen! Die Tour zur Granja Porcón, einer Kooperative, am nächsten Tag wäre eine super Ausflugsziel mit meinen Kindern. Die haben sogar einen eigenen Zoo. Und eine riesige Rutsche. Auch die wäre der Hit für Wutzi. Ich lächle, als ein vierjähriges Kind begeistert seinen Eltern zuruft, sie sollen ihm doch beim Rutschen zusehen. Die Wanderung bei Cumbemayo ginge ebenfalls locker mit meinen Kindern. „Super!“, denke ich. Hier können wir mal gemeinsam herkommen, denn drei Tage reichen längst nicht, um die Gegend ausgiebig zu erkunden. Es reicht, um meine Arbeit zu machen und für einen ersten Kurztrip ohne Kinder.
Vermisse ich die beiden in den drei Tagen? Nicht einen Augenblick! Ich arbeite von früh bis spät. Ich spreche mit vielen Menschen, mache Fotos, Tonaufnahmen, Notizen. Ich schlafe weniger, als ich es mir erhofft hatte, aber besser – die Höhe macht mir bis auf leichte Kopfschmerzen am ersten Tag zum Glück nicht weiter zu schaffen. Ich fühle mich wohl mit dem zeitlich begrenzten Ich. Denn es ist erfüllter und ausgelasteter als das Prä-Mama-Ich. Wohl auch erschöpfter, müder, aber dazu kommt eine tiefe Wertschätzung für Zeit, für mein Leben und für meine Privilegien, die sich eben auch auf diesem Trip nach Cajamarca offenbart, wo die Armut und Perspektivenlosigkeit für breite Teile der Bevölkerung allgegenwertig sind.
Mit über einer Stunde Verspätung komme ich schließlich wieder in Lima an, noch rechtzeitig bevor die Kinder schlafengehen. Ich habe das Gefühl, dass es genau der richtige Zeitrahmen war. Drei volle Tage war ich weg. Das haben alle Beteiligten gut geschafft. Es war genug Zeit, um meine Arbeit zu machen und die Zeit allein zu genießen aber nicht zu viel, als dass es eine „Mama-ist-nicht-da-Krise“ hätte geben können, auch wenn es nach dem Mittagsschlaf am letzten Tag Tränen gegeben hat. Der Papa hatte auch genug Nerven für die drei Tage. Eine Nacht mehr ohne Mama wäre eine Herausforderung gewesen. Beim Einschlafen kuschle ich mich zwischen meine beiden Schätze. Erfüllt und dankbar drückt es am ehesten aus. Und doch empfinde ich so viel mehr an diesem Abend, als ich in Worte fassen könnte.