Ein Ausflug an einem heißen Augustfeiertag – eigentlich hätte es ja hinauf auf den Schneeberg gehen sollen, aber die Tickets für die Zahnradbahn sind (vor allem an Feiertagen) vorzureservieren. Und bei der Rax-Seilbahn sind es über zwei Stunden Wartezeit! Also Ausweichprogramm im Höllental.
Als wir am Vortag gemeinsam überlegen, was wir denn am Feiertag mit dem Wutzibutz unternehmen wollen, ist uns unabhängig voneinander nach Wandern. Hurra! Abends suche ich aus einem Wander- / Fahrrad- / Ausflugsführer den Schneeberg heraus. Es ist ja gar nicht so einfach, die passende Wanderung mit einem Krabbelbaby auszuwählen. Viel mehr als eine Stunde pro Wegstrecke sollte es nicht entfernt sein. Zu ausgesetzt und steil abfallend sollte der Weg nicht sein, zu viel Geröll ist auch nicht gut, von Klettern über Felsen ganz zu schweigen. Mit der Rucksacktrage geht es sich zwar wirklich gut, aber ich bin eben mit kostbarem Gut auf dem Rücken unterwegs, nicht allein mit 20 kg an Ausrüstung und Nahrungsmitteln. Und dann sollte die Wanderung auch nicht zu lang sein. 2 1/2 Stunden für einen Rundweg am Schneeberg klingen machbar. Zum Glück kontrolliere ich in der Früh noch die Öffnungszeiten der Bahn und finde heraus, dass bis 13:30 gerade mal Einzelplätze frei sind. Meine Schwester, die sich in den Bergen rund um Wien besser auskennt als ich, schlägt vor, mit der Rax-Seilbahn aufs Plateau hinauf zu fahren. Klingt gut! Los geht’s!
Die Hinfahrt verläuft ja noch gut, und selbst durch Reichenau durch hält sich der Verkehr in Grenzen. Wahrscheinlich weil alle schon vor uns da sind! Aber mit Wutzibutz brauchen wir einfach länger in der Früh. Der Parkplatz ist übervoll. Irgendwo findet sich noch ein Plätzchen fürs Auto. Gut gelaunt marschiere ich mit Wutzibutz in der Trage die Stufen hinauf zur Kasse. Mein Freund schon etwas weniger gut gelaunt ein paar Schritte hinter mir. Irgendwo höre ich etwas von „2 Stunden Wartezeit“, will es aber noch nicht recht glauben. Bis ich die Menschenmassen im kleinen Restaurant an der Talststation sehe. Tatsächlich würden wir erst nach 13 Uhr hinaufkommen – also in der größten Mittagshitze. Das kommt für uns nicht in Frage. Aber wohin denn nun? Jetzt wieder mit dem zum Schneeberg fahren und dort eine alternative Route zu suchen ist mit Baby, der jetzt entweder etwas sehen oder sich bewegen muss, kommt nicht in Frage. Leider habe ich keine detaillierte Wanderkarte mit, um die Möglichkeiten in der unmittelbaren Umgebung auszuloten. Ich fühle mich verantwortlich für den missglückten Start, und möchte es wiedergutmachen. Allerdings nerve ich den Kindesvater mit meinem Enthusiasmus und Organisationsdrang einigermaßen, dass er sich entscheidet, aus dem Auto auszusteigen und sein eigenes Programm zu fahren.
Ich entscheide mich dafür, den vielen Schildern „Wiener Wasserleitungsweg“ nachzugehen, die es um die Rax-Seilbahn zu Hauf gibt. Auf Anraten meiner Schwester und ihres Freundes fahre ich weiter nach hinten ins Tal nach Kaiserbrunn. Eine S-Kurve nach der anderen schlängelt sie sich neben der Schwarza zwischen steilen Bergwänden von Rax und Schneeberg links und rechts durch. Wirklich unbeschreiblich schön! Handy-Empfang habe ich hier hinten keinen, falls der Kindesvater seine Meinung doch noch ändert. Das ganze dämpft natürlich meine Laune ziemlich, aber ich versuche, mich auf die schönen Aspekte des Tages zu besinnen und den Tag in der schönen Landschaft mit meinem Wutzibutz zu genießen.
Ein kleiner Tipp für zwischendurch:
Eigentlich ist der Weg von Hirschwang bis Kaiserbrunn wunderschön. Das weiß ich leider zu dem Zeitpunkt nicht, aber so werde ich ein anderes Mal dieses besondere Stück Landschaft ausgiebig erkunden.
Wir spazieren einen gemütlichen Weg den Fluss entlang, der leider zu früh endet. Wutzibutz scheint hungrig zu sein, also suchen wir einen kleinen „Strand“ in einem der vielen Mäander des Flusses. Außer uns sind an diesem kleinen Stück nur ein nackter Mann, eine Frau in Badeanzug und ein vierbeiniger Weggefährte hier. Wir suchen uns in 30 Meter Entfernung einen Platz im Schatten mit ein paar großen Steinen als Sitzfläche. Hurra! Steine! Wutzibutz krabbelt – Hintern in die Höhe, damit die Knie nicht unangenehm aufschürfen – sofort los und hält triumphierend Steine unterschiedlicher Größen hoch. Das übliche Spiel beginnt: er blickt mich an, hält den Stein in der Hand, lächelt, sieht mich weiter an, führt den Stein zum Mund. Ich: „Nein.“ Der Stein kommt näher zum Mund. „Nein. Nicht in den Mund nehmen.“ Er wandert näher und näher. Die unschuldigen Augen blicken mich groß an. Schwupps der Stein ist im Mund. Mittlerweile bin ich nicht mehr zimplerlich, drücke auf seine beiden Backen und nehme ihm den Stein (oder was es im jeweiligne Fall auch ist) bestimmt raus. Wutzibutz weint. Seinem Missfallen mit Weinen Ausdruck verleihen, kann der Kleine mittlerweile sehr gut. Ich gewöhne mir langsam immer mehr an, ihm zu erklären, warum er etwas nicht tun soll oder warum ich gerade etwas bestimmtes mache, was Vorrang hat. Und das in Ruhe mit innerer Klarheit. Hier bin ich immer wieder meiner Hebamme und lieben Freundinnen dankbar, die schon ältere Kinder haben und die mich in bestimmten Dingen bestärken. Wer hört sein kleines Kind schon gerne weinen?! Aber es ist eben seine Art zu kommunizieren. Ich bin die Mutter und gebe ihm den ersten aber wichtigen Orientierungsrahmen in seinem Leben. Den braucht er, um zu einem gesunden Menschen zu werden. Ob ich mich dabei immer wohlfühle? Oh nein! Am liebsten wäre es mir, er würde immer nur lachen und glucksen. Aber es gehört dazu. Ich bin seine Mutter. Der regelmäßige Austausch mit anderen ist für mich hierbei unendlich wichtig. Ich kann jeder werdenden Mutter nur empfehlen, sich von Beginn an ein für sie bestärkendes Netzwerk an Freundinnen und erfahrenen Frauen (von der Hebamme, über Kinderarzt /- ärztin, bis hin zum Kindergarten) aufzubauen.
Nur weil ich ihm die Steine aus dem Mund nehme, wird mich mein Wutzibutz nicht hassen. Im Gegenteil. Und ich biete ihm etwas zum Essen an. Heute gibt es als Wanderproviant Käsebrot und Zwiebelschmalzbrot für die Mama und Toast mit Mandelmuß für den Kleinen. Das Obst habe ich leider vergessen! Wasser habe ich dabei, aber da das bald leer ist, fülle ich es direkt am Fluss auf. Herrlich frisch, direkt aus der Quelle! Wutzibutz möchte natürlich hinein. Also heißt es raus aus dem Body und hinein in die „Fluten“. Heute aber nur mit den Füßen. Das Wasser ist nämlich selbst für die größte aller kleinen Wasserratten zu kalt für ausgiebiges Herumplanschen.
Nach einer ausgiebigen Pause inspizieren wir noch das Wasserleitungsmuseum Kaiserbrunn von außen. Von hier führt ein weiterer Wanderweg in Richtung Friedrich-Haller-Haus. Allein ist mir das aber an diesem Tag mit Wutzibutz am Rücken doch zu weit. Außerdem vermute ich, dass sich der Kindespapi mittlerweile etwas beruhigt hat. Wir steigen also ins Auto und fahren zurück nach Hirschwang.
Und siehe da, sobald ich wieder Handyempfang habe, sehe ich einige versäumte Anrufe am Display meines Telefons. Er ist gerade am Bahnhof Payerbach-Reichenau und schlägt vor, hier einfach noch den Fluss entlang zu spazieren. Programmmäßig ist es nicht das, was ich mir unter dem heutigen „Wandertag“ als Familie vorgestellt habe, aber es ist immerhin Zeit mit der Familie. Heute mal nur wir drei. Und allein das ist schön. Als Mutter lerne ich mehr und mehr, für das, was ist, dankbar zu sein. Mir nicht immer einen anderen Zustand herbeizuwünschen. Manche nennen es „Kompromissbereitschaft“, aber ist mir zu passiv. Vielmehr ist dieses akzeptieren und Dankbarkeit üben ein intensiver, bewusster und aktiver Prozess, an dem ich arbeite. Es ist nicht immer leicht, trägt aber wesentlich dazu bei, dass ich die Mutter und Partnerin sein kann, die ich sein möchte. Welche Form das dann bekommt, das kann ich eben nicht kontrollieren, aber das ist vermutlich auch gut so.
Zu dritt spazieren wir wieder die Schwarza flussaufwärts, diesmal durch Reichenau. Dann verlassen wir den Wiener Wasserleitungsweg und gehen im Schatten einen kleinen Bach entlang, bis auch dieser Weg wieder zu Ende ist. Der schmale Pfad führt vorbei an den Hintergärten der Einfamilienhäuser. Reichenau hat eine eigene Atmosphäre, aber das mag natürlich auch am Feiertag liegen. Schön ist es hier jedenfalls mit Blick auf die Rax. Wie mag es wohl sein, hier hinten das ganze Jahr über zu leben? Touristisch sind die goldenen Jahre der Region ja schon lange vorbei. Verfallene Hotelruinen zeugen von glorreichen Zeiten, als das Wiener Bürgertum zur Sommerfrische hier verweilte. Ich finde es immer schade, wenn ich daran denke, dass die Leute heute in den Billigflieger steigen und lieber Cluburlaub in Griechenland u.ä. machen. Es gibt hier und an anderen Orten in Österreich eben weniger zu „tun“. Aber das ist ein anderes Thema…
Alles in allem lerne ich an diesem Sommertag ein Stück Wien eine Stunde entfernt von Wien kennen – ein Naturjuwel, das darauf wartet, ausgiebig ausgekundschaftet zu werden. Mit und ohne Kind. Im Sommer wie im Winter. Es muss nicht immer weiter westlich sein für Berg-Feeling in Österreich. Das weiß ich zwar, trotzdem zieht es mich immer wieder in die anderen Bundesländer. Jetzt mit Wutzibutz werde ich notgedrungen offener dafür, die unmittelbarere Umgebung richtig kennen und schätzen zu lernen. Das nächste Mal wählen wir dafür vielleicht nicht unbedingt einen Feier- oder Sonntag!
Anfahrts-Tipp:
Auch öffentlich ist der Wiener Wasserleitungsweg gut erreichbar! Mit dem Regionalzug geht es im groben Halbstunden-Takt über den Wiener Hauptbahnhof direkt nach Payerbach-Reichenau (ca. 1h 30min) oder mit Umsteigen in Wr. Neustadt (ca. 1h 10min). Von hier aus so gut wie stündlich mit dem Bus nach Hirschwang (noch ca. 10 Minuten). Von und nach Kaiserbrunn gibt es nur drei Busse täglich, also unbedingt den Fahrplan checken, wenn man nicht wieder nach Hirschwang zurückgehen möchte!